Neuer “Magic Quadrant” für BPM-Suites erschienen
Seit ein paar Tagen liegt der berühmt-berüchtigte “Magic Quadrant”-Report zum Thema BPM-Suites von Gartner vor. Ich sehe den Report eigentlich eher kritisch, weil ich das Kriteriensystem für problematisch halte und mich frage, ob die Analysten auch schon mal selbst BPM-Projekte gemacht haben. Auch ist es ärgerlich, dass die kleinen und mittleren Anbieter in der Regel nicht gelistet werden. Für die Erstellung einer Short List ist der Magic Quadrant alleine also nicht ausreichend.
Trotzdem ist er eine sinnvolle Ergänzung, und das Kriteriensystem wurde für die aktuelle Ausgabe überarbeitet. Ich habe deshalb mal einige Essentials zusammengefasst und kommentiert…
Die leidigen Abkürzungen
Eine Klärung vorab: Gartner kürzt “BPM-Suites” mit BPMS ab. Das ist etwas problematisch, denn “BPMS” stand im allgemeinen Sprachgebrauch bislang für “BPM-System” und bezog sich auf Lösungen, die primär der Prozessautomatisierung dienen (z.B. IBM Websphere etc.). Davon abzugrenzen sind Tools für die Prozessdokumentation, -analyse etc (z.B. ARIS von IDS Scheer). Mit den “BPM-Suites” geht es nun um integrierte Pakete, die die Funktionen von BPM-Systemen und BPM-Tools miteinander kombinieren (sollen). Die nebenstehende Grafik aus unserem Seminar zu BPM-Software soll das veranschaulichen.
Tja, und hier fängt das Drama schon wieder an. Natürlich kann wieder mal jeder Anbieter alles, und deshalb bietet auch inzwischen (fast) jeder Anbieter eine “BPM-Suite” an. Tatsächlich aber gibt es bislang kaum eine Lösung, die die notwendigen Funktionen für fachliches Prozessmanagement einerseits und die Prozessautomatisierung andererseits vollständig enthält. Und es gibt meiner Meinung nach noch gar keine Lösung, die diese Funktionen ausreichend konsequent miteinander verzahnt (wer das anders sieht: Ich bin für jede Diskussion zu haben).
Das gilt auch für die “BPM-Suites”, die im Magic Quadrant von Gartner gelistet sind. Diese sind historisch bedingt eher der “BPM-Systeme”-Ecke zuzuordnen. Wer also “ein schlankes Tool für die Prozessdokumentation” sucht, braucht sich den Quadranten gar nicht erst anschauen.
Unser Wunschzettel…
Laut Gartner war 2008 ein Wendepunkt für BPM als ganzheitliche Methode – zahlreiche Engagements hätten gezeigt, dass BPM als unternehmensweites Programm verstanden wird, und nicht mehr nur für vereinzelte Projekte herangezogen wird. Das ist nebenbei bemerkt eine Forderung, die in der Welt des organisatorischen Prozessmanagements schon seit Jahren geäußert wird – nur haben das die “Tekkie”-Firmen, die unter BPM primär Workflow, EAI & Co. verstehen, lange nicht begriffen.
Die wesentlichen Funktionen einer BPM-Suite sind deshalb laut Gartner:
- Die Optimierung der Performance von End-To-End-Prozessen, und zwar sowohl funktionsübergreifend innerhalb des Unternehmens, als auch im B2B-Bereich.
- Die explizite Veranschaulichung der Geschäftsprozesse, und zwar konsistent für Business und IT, mit Hilfe von Prozessmodellierung und -monitoring
- Das fachliche Prozessmodell mit dem Execution-Modell zu synchronisieren
- Die Möglichkeit für Anwender aus den Fachbereichen sowie “Business Analysts”, die Prozessmodelle zu verändern, um auch direkt die real laufenden Prozesse zu ändern.
- Die Unterstützung für eine schnelle Iteration der Prozesse und darunter liegender Systeme (gemeint ist die Weiterentwicklung/Anpassung), um die kontinuierliche Verbesserung zu ermöglichen.
Dazu habe ich zwei Anmerkungen:
- Absolut richtig. Das sollten wir mit Hilfe von BPM-Suites tun können!
- Mindestens die Hälfte dieser Forderungen wird heute noch von keiner Lösung vollständig erfüllt!
Aber das heißt nicht, dass die Richtung falsch wäre, oder die Lösungen nichts taugen. Wichtig ist nur, nicht zu hohe Erwartungen zu haben und nicht zu glauben, man könne mit der “Magic BPM-Suite” die Kontrolle über IT-unterstützte Prozesse mal eben in die Fachabteilungen verlagern (siehe auch “BPM-Suites – alles Schrott?”).
Einzelne Anbieter
Zu den einzelnen Anbietern hat Gartner ganz interessante Kommentare formuliert. Ich möchte sie einmal wiedergeben für die Lösungen, die man auch hierzulande immer mal wieder sieht, bzw. für die sich unsere Kunden (zunehmend) interessieren.
- BizAgi: Das Tool nehmen wir zur Zeit in unseren BPMN-Schulungen, weil der Modeler kostenlos und relativ leicht bedienbar ist. Außerdem wird die BPMN 1.2 korrekt umgesetzt. Im “Magic Quadrant” ist BizAgi aber gar nicht gelistet, weil die komplette Edition bislang wenig verbreitet ist (hauptsächlich in Südafrika).
- Cordys: Haben lt. Gartner ein “starkes Produkt”, obwohl es relativ neu ist. Die von Gartner genannten “unique features”, wie die Organisationsmodellierung, sind meiner Ansicht nach aber so einzigartig auch wieder nicht. Allerdings habe Cordys ein sehr gutes Verständnis für die Bedürfnisse des Marktes, und eine überzeugende Vision für das eigene Produkt (u.a. in Richtung SaaS). Als Nachteil werden die bislang wenigen Referenzen genannt, weil das Produkt eben noch relativ jung ist.
- IBM: Gartner bescheinigt IBM ein intensives Engagement im BPM-Markt, das sich vor allem in einer umfangreichen Palette von Lösungen ausdrückt (u.a. WebSphere und Filenet). Der Segen sei aber auch ein Fluch, denn IBM hat deshalb auch noch nicht eine vollständig integrierte BPM-Suite, wenngleich sie daran arbeiten. Der Umfang der Palette sei für Kunden deshalb mitunter “überwältigend”, sodass fast immer externe Consultants benötigt werden. Diese Beobachtung können wir aus der eigenen Projekterfahrung bestätigen.
- intalio: Das Hauptargument von intalio ist die Open Source – Verfügbarkeit. Das sehen wir ja eher kritisch, denn für den produktiven Einsatz kommt man eigentlich um die kostenpflichtigen Editionen nicht herum, worauf wohl auch das Geschäftsmodell basiert. Damit unterscheidet sich intalio von “echten” Open Source – Anbietern wie JBoss. Bei Gartner wird das etwas relativiert (die “Advanced Features” seien kostenpflichtig). Aber Gartner warnt, dass man von intalio kein Consulting erhält, und die externen Consultants auf die kostenpflichtigen Editionen fokussiert seien (hmh, vielleicht, weil nur die für den produktiven Einsatz taugen…?)
- Oracle: Bei Oracle weiß ich eigentlich nie, was denn jetzt ihre BPM-Suite genau ist (ähnlich wie bei IBM). Laut Gartner ist es “Oracle BPM Suite 10gR3”. Was für ein Name. Im Zentrum stehe die BPM-Lösung von Bea, die Oracle in 2008 akquiriert hat. Hier liegen lt. Gartner nennenswerte positive Erfahrungen von Business Analysts in Bezug auf die Round-Tripping-Fähigkeiten vor. Ansonsten sind die positiven Wertungen eher spärlich, während die schlechte Integration der Oracle- und Bea-Komponenten kritisiert wird. Außerdem wird vor der Migration von der aktuellen 10gR3 zur demnächst erscheinenden 11g gewarnt – dies könnte mehr als ein “einfaches” Upgrade sein.
- Tibco: Die “Tibco iProcess v.11” – Suite nutzt laut Gartner eine event-driven Architecture mit guten BAM-Fähigkeiten sowie einer umfangreichen Unterstützung von Standards (BPMN, XPDL etc.). Obwohl wir selbst noch keine direkte Projekterfahrung mit Tibco sammeln konnten, haben wir zumindest schon viel Gutes gehört. Allerdings ist Tibco laut Gartner relativ teuer und anspruchsvoll in der Bedienung, sodass weniger fortgeschrittene bzw. kleinere Unternehmen mit dieser Lösung ihre Schwierigkeiten haben könnten.
Fazit: Es bewegt sich etwas
Interessant ist der Gartner Report sicher, auch wenn ich nicht alle Meinungen der Kollegen teile. Interessant ist auch die Entwicklung des Marktes, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise – aber hier wäre vielleicht mal ein eigene Blog Post fällig.
Wer sich einen aktuellen Überblick verschaffen möchte, kann übrigens auch den Process Solutions Day besuchen. Dort werden zahlreiche BPM-Lösungen live präsentiert, und zwar sowohl für das fachliche Prozessmanagement, als auch für die Prozessautomatisierung.
Wenn man BPM als “strategisches Kompetenzcluster und die dazu passende Operationalisierung” begreift, greifen die Gartner-Kriterien zu kurz. Hier macht man sich mit der Zentrierung auf Tools einen eigenen eng fokussierten Produktmarkt, der zum großen Teil US-amerikanischen Bedürfnissen dient. Und was passiert, wenn man “Shareholder Value”-orientiertes Prozessmanagement sieht, kann heute jeder nachvollziehen, der z.B. eine Geschäftsbeziehung mit einem der hocheffizient kaputtsanierten DSL-Provider innehat. Strategisch alles sehr wertvoll, aber im Kern am Kundennutzen vorbeioptimiert.
Ich bin pessimistisch, ob wir wirkliche “BPM Suites” sehen werden. Die eigentlich Kompetenz liegt im gekonnten Umsetzen des “B” im BPM und das ist immer ein individueller, aufwändiger und oft schmerzvoller-Changeprozess, der durch Tools bestenfalls gelindert werden kann.
Jakob,
Glaub an deinem Wunschzettel!
Auf Spanisch haben wir einen Spruch: “Amanecera y Veremos.”
Schlecht auf Deutsch übersetzt: „Die Morgendämmerung wird kommen und wir werden sehen können“.
Gruß
Gustavo
CEO
BizAgi
P.S. Südamerika, nicht Südafrika ?